Elfenbeinküste, Januar 2015
Caspar David Friedrich im afrikanischen Busch! So erschien mir diese Aussicht auf die Wildnis vor Bouaflé, einem Städtchen im Kakao-Gürtel der Elfenbeinküste. Dort war ich 1976/77 als Deutschlehrer tätig gewesen, und seit damals ist Januar/Februar meine liebste Jahreszeit in der Côte d’Ivoire. Weil dann der Harmattan weht: ein Passatwind, der in Süd-Sahara und Nord-Sahel so ungeheure Mengen von Sand und Staub in sich aufsaugt, dass sich als Folge ein rötlicher Vorhang zwischen Himmel und Erde schiebt, bis „hinunter“ nach Abidjan am Atlantik. Für einen Betrachter aus nicht-afrikanischen Fernen resultieren daraus Momente von besonderer Ästhetik. Am Nachmittag, so ab 17h30, kann er den Blick ununterbrochen und ohne zu blinzeln auf dem sonst für die Netzhaut so gefährlichen Feuerball weilen lassen. Denn der hängt nun über dem Busch von Bouaflé wie ein ganz harmloser Vollmond! Leider entstand das beigefügte Bild eine Stunde zu früh. Auch schoss Per-Anders Pettersson das Foto mir dem iPhone, da er seine Canon gerade nicht zur Hand hatte. Dennoch: Das Gefühl, das ich mit diesem Augenblick an jenem Ort verbinde, ist in dem Bild intakt geblieben.
Rio Magdalena, Februar/März 2014
Im Zuge des zunehmenden App-Zwangs sind Magazin-Reporter heute gehalten, sich möglichst oft auch filmisch und im Ton festzuhalten. Viel kommt dabei nicht heraus, finde ich. Finden übrigens auch die GEO-Redakteure, die das meiste Zeug zielsicher in ihre Hamburger Papierkörbe weiterleiten. Artdirektorin Tatjana Lorenz, die sich meisterhaft um meine Homepage kümmert, hat vier dieser vom Magazin nicht verwerteten Videos des Fotografen Stephen Ferry zu einem Filmchen zusammengeschnitten. Es stellt den Versuch dar, eine dreiwöchige, über 1500 Kilometer lange Reportage-Reise auf und entlang dem kolumbianischen Rio Magalena auf einen möglichst kurzen Nenner zu bringen: Autor reitet, redet, schreibt, Stimmung gedämpft, 25 Sekunden. Eine längere Version ist auf der Seite „Leseproben“ unter dem Titel Auf nach Macondo zu finden. Ihre Lektüre verdeutlicht, dass das Schwierigste auf dieser Reise nicht zuletzt darin bestand, das geeignete Kostüm für den Karneval in Barranquilla zu finden. > siehe GEO 2014/7
Französisch Guayana, Oktober 2013
An Frankreichs Grenze zu Brasilien waren wir – mit Fotograf Pascal Maitre – meistens auf dem Wasser unterwegs. Das Übersee-Departement Guyane Française besteht zu über 90 Prozent aus einem fast undurchdringlichen Urwald mit Sümpfen. Die einzige Überlandstraße folgt der Atlantikküste; landeinwärts gelangt man nur über die Flüsse. Oft befanden wir uns dabei in Begleitung hier stationierter Fremdenlegionäre. In ihren Händen fühlten wir uns sicher – zu Unrecht, wie sich herausstellte. In einer Stromschnelle nämlich kippte und kenterte eine der von der Legion benutzten Lastpirogen, auf der sich neben einem schweren Maschinengewehr auch mein Gepäck befand. Das MG konnte geborgen werden. Mein verdienter MacBook Baujahr 2007 ruht auf dem Grund des Rio Oyapock, nur wenige Schwimmzüge von Brasilien entfernt. > siehe GEO 2013/10
Shishmaref, Sommer 2012
Seltsame Stimmung auf Shishmaref, einem Inselchen vor der Küste Alaskas. Zum einen ging die Sonne immer nur für zwei Stunden unter, zum anderen wusste man mit der überflüssigen Tageszeit oft nichts anzufangen. Umso mehr fiel mir dieser Hund auf, der immer, wenn ich in seine Nähe kam, wie wahnsinnig bellte und an der Kette riss. Die Eskimos sagten, er sei tollwütig oder leide unter einem psychologischen Schaden: Weil er ein Schlittenhund ohne Hundeschlitten sei! Im Winter jagen die Eskimos heute nämlich in Motorschlitten auf dem Packeis, Huskies halten sie sich nur noch aus sentimentalen Gründen. Das Gebell war sehr nervend. Irgendwann ging ich auf das tobende Tier zu und hielt ihm die Hand hin. Der Hund wollte mich gar nicht fressen, wollte nur gestreichelt werden und balgen. Danach besuchte ich ihn täglich. Einmal war mein Reportage-Partner, der slowenische Fotograf Ciril Jazbec, mit dabei und schoss Fotos … zur Erinnerung an meinen besten Freund auf Shishmaref.
Pakistan, November 2009
Jeder Reporter fragt sich irgendwann einmal, was wohl das Schlimmste in seinem Reisealltag darstellt. In meinem Fall hat ein Aufenthalt nahe der antiken Metropole Mohenjo-Daro im Indus-Tal darauf eine eindeutige Antwort gegeben. Am schlimmsten sind dreckige Hotels, wenn man gleichzeitig Lust hat, im Freien zu schlafen. Was im Umfeld der Ruinen nicht ratsam wäre. Wegen der Kobras. Jede Nacht kommen sie aus ihren Löchern gekrochen und machen sich zu Herrschern über die tote Stadt. Wenigstens konnte ich mir das Frühstück abseits meiner verlausten Schlafstätte organisieren. > siehe GEO 2010/04
Busok-Busok, Regenzeit 2008
In dem philippinischen Fischerdorf Busok-Busok wohnten der Fotograf Christopher Pillitz und ich als Untermieter im Haus des Bürgermeisters. Genau gesagt hatte jeder von uns ein Bett, das ihm als Arbeits- und Schlafzimmer diente. Da es in dem Dorf keinen Strom gab, war Schreiben am Abend nur bei Kerzenlicht möglich. Der größte Luxus war das Moskitonetz. Es verlieh ein Gefühl der Geborgenheit: Bis in den Schlaf hinein hörte man das tausendfache Summen von Mücken, die einem nichts anhaben konnten. Ich habe Busok-Busok sehr gemocht. > siehe GEO 2010/03
Tschadsee, 2005
Also das war so: Wir waren mit Yerima, dem Erben des Sutans vom Tschadsee, in einer Motorpiroge auf besagtem See unterwegs. Plötzlich schlug einer der Leibwächter des Herrschers Alarm, weil vor dem Bug Flusspferde auftauchten. Wer Afrika kennt, weiß, dass die meisten Menschen dort mehr Angst vor Hippos haben als vor Krokodilen. Deshalb fuhr unser Bootsmann schnell einen großen Bogen und näherte sich dabei dem Ufer einer menschenleeren Insel. In der Uferböschung nisteten diese Vögel, von denen ich bis heute nicht weiß, wie sie heißen. Ist ja auch nicht so wichtig. Entscheidend war, dass Fotograf Pascal Maitre gerade seine Leica zur Hand hatte und diesen Augenblick von besonderer Schönheit festhalten konnte. > siehe GEO 2006/04
Kurdistan, 1992
Unter Wölfen betitelte GEO die Reportage, die Fotograf Pascal Maitre und mich 1992 in die unübersichtliche Bergwelt zwischen Irak und Türkei führte. Es war kurz nach dem „zweiten Golfkrieg“, der heute auch „erster Irakkrieg“ heißt. Sein Ergebnis war die Rückeroberung Kuwaits durch die Amerikaner sowie die Vertreibung der Truppen Saddam Husseins aus dem irakischen Kurdistan. Letzteres machte es für uns möglich, mithilfe von Peshmerga, irakisch-kurdischen Rebellen, durch einen zweitägigen Fußmarsch ein Lager der türkischen Kurden-Guerilla PKK zu erreichen. So weit, so gut.
Unser Rückweg hingegen wurde unbequem. Als wir nach der Überquerung eines brückenlosen Flusses erneut irakisches Gebiet erreichten, wurden wir von einer Gruppe bewaffneter Männer festgenommen. Wer sie waren? Vorgestellt haben sie sich nicht. Ihr „Stützpunkt“, wie sie den einsamen Ort nannten, markierte das Ende einer aus dem Irak kommenden Piste. Es war klar, dass es sich nur um Kurden handeln konnte. Und dass der wilde Haufen uns als Gefangene betrachtete. Offenbar berieten sie, was sie mit uns anstellen sollten. Unsere Zuversicht verkümmerte schnell.
Da tauchten in der Ferne zwei Lichter auf: die Scheinwerfer eines Jeeps. Minuten später bremste der Wagen in einer Staubwolke vor unseren Füßen, und heraus sprang mit gezückter Pistole unser Freund Mahmoud. Er stieß einen Schwall heftiger Worte aus, bei denen es sich nur um Beleidigungen handeln konnte, und schob uns dabei ins Auto. Warum es nicht zum Schusswechsel kam? Keine Ahnung. Mahmoud spuckte auf den Boden und brauste mit uns davon.
Er war eine schillernde Gestalt. Von Beruf Arzt, hatte Mahmoud selten Gelegenheit zum Praktizieren gefunden. Der kurdische Krieg gegen Saddam Hussein ließ ihm dafür keine Zeit. „Meine Verlobte“ nannte er seine Kalaschnikow, von der er sich selbst im Schlaf nicht trennte. Er hatte schon viel hinter sich: Gefängnis, Folter, Todesurteil. Aber er hatte ausbrechen und weiterkämpfen können. Bei unserer Ankunft im „befreiten Kurdistan“ hatte er uns seine Dienste als Fixer und Übersetzer angeboten. In jener Nacht an der Grenze war offensichtlich, dass er uns aus einer üblen Lage befreit, vielleicht sogar das Leben gerettet hatte.
Aber die Gefahr war nicht vorüber. Die Peshmerga waren gespalten. Die einen wollten mit der türkisch-kurdischen PKK kollaborieren, die anderen waren dagegen. Solche Differenzen gingen bei den Kurden selten friedlich aus. Zwei Kontaktmänner, die uns dank Mahmouds Vermittlung den Besuch im PKK-Lager ermöglicht hatten, wurden kurz nach unserer Rückkehr in den Irak ermordet. Der nächste auf der Liste konnte nur Mahmoud sein.
Also taten wir unser Bestes, um ihm bei der Flucht zu helfen und politisches Asyl in Frankreich zu bekommen. In Paris trafen wir uns dann noch einige Male. Unser Freund vergaß seine „Verlobte“ in Kurdistan, heiratete stattdessen eine französische Ärztin. Bei unserem letzten Treffen, vier Jahre nach dem Beginn seines neuen Lebens als Franzose, war Mahmoud sehr dick. Seine Frau riet ihm ständig, mehr auf seine Linie zu achten.